Viele Senioren leiden im Alter unter Kriegstrauma
Für viele nicht vorstell- und erklärbar: Kriegstrauma im Alter. Insbesondere in jener Generation, die den zweiten Weltkrieg miterlebt hat, melden sich die über Jahrzehnte hinweg verdrängten Narben erst in der Pflegebedürftigkeit. Für Pflegepersonen ist das ein enormer Kraftakt, denn plötzlich sehen sie sich nicht nur mit organisatorischen und finanziellen Hürden konfrontiert. Auch die durch das Kriegstrauma bedingten psychischen Problemsituationen sind ein Thema, dass viel Fingerspitzengefühl bedarf. Während die eigenen Eltern oder Großeltern sonst wahrscheinlich nie über den Krieg redeten oder innerhalb von Gesprächen stets gefasst wirkten, folgt plötzlich der Rückschlag. Eine Retraumatisierung im Alter kann unterschiedliche Gründe haben. Häufig fällt das Kriegstrauma ins Gewicht, sobald der Job keine Rolle mehr spielt und die körperlichen Kräfte nachlassen. Wenn die Pflegebedürftigen altersbedingt plötzlich auf Hilfe durch andere angewiesen sind. Auch Rückschläge in Form von Flashbacks sind keinesfalls ausgeschlossen.
Warum Kriegstraumata häufig erst im Alter vorkommen
Geht man nach aktuellen Schätzungen, sind gegenwärtig etwa fünf Millionen Menschen von einem Kriegstrauma aus dem zweiten Weltkrieg betroffen. So sahen sich insbesondere die heute über 75 Jährigen mit kontinuierlichen Bombenangriffen, aber auch mit Verfolgung, Hunger oder Vertreibung konfrontiert. Auch Misshandlungen und Vergewaltigungen waren im zweiten Weltkrieg keine Seltenheit. Kinder mussten zusehen, wie den eigenen Eltern Leid angetan wurde. In aller Regel kehrten die Betroffenen die Ereignisse unter den Teppich. Sie verdrängten ihre eigenen Erlebnisse und lebten indes ein scheinbar normales Leben. Hinzu kam, dass niemand Zeit oder Verständnis für die seelischen Leiden der Betroffenen hatte. Kommt der Körper im Alter aber zur Ruhe, hat der Mensch Zeit für sich selbst. Im Alter gibt es zudem viele einschneidende Ereignisse, wie der Verlust der Berufstätigkeit oder auch der Verlust von Angehörigen – etwa dem Ehepartner oder den Geschwistern. All das kann verdrängte Erinnerungen, aber auch Gefühle wieder an die Oberfläche holen. Neben diesen normalen Lebensereignissen können aber auch andere Gegebenheiten eine Retraumatisierung verursachen. Etwa das plötzliche Eintreten einer schweren Krankheit oder auch das Eintreten der Pflegebedürftigkeit. Nicht zu vernachlässigen sind Nachrichten, in denen über Krieg, Tod, Zerstörung und mehr berichtet wird.
Kriegstrauma im Alter – mögliche Folgen für Betroffene
Als Angehöriger und Pflegeperson ist es wichtig, das Kriegstrauma in der Reaktivierung möglichst schnell zu erkennen und diesbezüglich auf mögliche Symptome zu achten. Dabei kann sich das Kriegstrauma ganz unterschiedlich zeigen. Die Retraumatisierung kann unter anderem zu den nachfolgend genannten psychischen Störungen führen:
- Persönlichkeitsveränderung
- Identitätsstörungen
- Angsterkrankungen
- Anpassungsstörungen
- Ich-syntone Verhaltensweisen
- Psychosomatische Störungen
- Partielle oder vollständige Posttraumatische Belastungsstörung
- Depressionen
Da vor allem die Generation aus dem zweiten Weltkrieg gelernt hat, dass seelische Störungen nicht ernst genommen werden, ist davon auszugehen, dass nur wenige Betroffene offenkundig über ihr Leid reden. Umso wichtiger ist es, als Angehöriger oder Pflegeperson auf kleinste Anzeichen zu achten:
- für Frauen kann die kleinste Berührung bereits zu einer enormen Belastung führen
- häufig beginnen die Betroffenen Nahrungsmittel massenweise zu horten
- viele Betroffene entwickeln eine Angst vor Flugzeuglärm oder auch vor anderem Lärm
- Dunkelheit ist nur sehr schwer auszuhalten
- körperliche Beschwerden wie Schwindel, Herzrasen oder Hitze- und Kältewallungen kommen als psychosomatische Symptome in Frage
Wie Angehörige bei einem Kriegstrauma im Alter reagieren können
Die Ausprägung und auch der individuelle Umgang mit einem Kriegstrauma im Alter ist sehr individuell. Eine Schlüssellösung für alle gibt es nicht. So reagiert auch im Alter jeder Mensch anders auf eine mögliche Retraumatisierung. Einige reden sehr frei darüber, sodass ein offenes Ohr bereits hilfreich scheint. Andere scheuen die Gespräche, ziehen sich zurück und wollen die Probleme mit sich selbst ausmachen. In jedem Fall empfiehlt es sich als pflegender Angehöriger eine Beratungsstelle aufzusuchen. Auch kostenlose Pflegeschulungen sind in diesem Kontext nicht zu vernachlässigen. Abhängig von der Ausprägung ist es mitunter sinnvoll, eine 24h Betreuungskraft zu involvieren. Ebenfalls abhängig vom Alter der Betroffenen und der Bereitschaft kann auch eine Psychotherapie angeraten sein. Mitunter empfehlen sich auch andere therapeutische Interventionen.